Wissenschaftliche Vorbereitung, Mitarbeit an Konzeption und Umsetzung sowie Erstellung der Ausstellungstexte für die Sonderausstellung im Städtischen Museum Göttingen, 19. Januar - 7. Juli 2019
Die Überlieferungslage im Stadtarchiv Göttingen zur Novemberrevolution ist so gut, dass zur Vorbereitung der Ausstellung nur noch wenige Akten aus dem Universitätsarchiv Göttingen hinzugezogen wurden. Zudem gibt es in Göttingen einen überlieferungsgeschichtlichen Glücksfall: Ulrich Popplow war von 1956 bis 1990 Lehrer am Felix-Klein-Gymnasium in Göttingen. Er beteiligte sich 1975 mit einer Arbeitsgruppe von 13 Schülern und Schülerinnen am Wettbewerb zum "Gustav-Heinemann-Preis". Der Titel der Arbeit ist: „Die Volksstimmung in Göttingen 1918 - 1919: Wettbewerb für die Schuljugend zum Verständnis deutscher Freiheitsbewegungen.“ Die Arbeit umfasst 940 Seiten, davon sind auf etwa 300 Seiten 65 Zeitzeugenberichte zur Novemberrevolution enthalten. Die hier wiedergegebenen Teile der Interviews stammen aus dieser Arbeit.
Nach einer längeren Phase der Recherche kristallisierten sich aus dem reichhaltigen Material 13 Ausstellungseinheiten heraus:
1) Kriegsende:
Nach über vier Jahren Krieg war die Friedenssehnsucht auch in Göttingen mit Händen zu greifen. Aufgrund der katastrophalen Ernährungslage litten die Göttinger an Hunger und Krankheiten, Alte und
Kinder wurden dadurch besonders geschwächt. Sie waren auch die ersten Opfer der "Spanischen Grippe". mehr
2) Revolution in Göttingen:
Ab dem 7. November bildete sich in der Göttinger Garnison ein Soldatenrat. Ob unter den Soldaten bereits Informationen über Kieler Ereignisse kursierten (erst
einen Tag später wurde darüber im Göttinger Tageblatt berichtet) bleibt fraglich. Der Soldatenrat nahm, analog zu den Ereignissen in Kiel, am Abend des 8. November Kontakt mit der SPD und den
Gewerkschaften auf. mehr
3) Volkswehr
Schon relativ früh, noch vor der eigentlichen Revolution, gab es Bemühungen, Ruhe und Ordnung
sicherzustellen. Die Polizeibeamten waren zum großen Teil kriegsbedingt eingesetzt und mit dem "Matrosenaufstand" Anfang November 1918 wurde die Unruhe in der Bevölkerung immer greifbarer.
mehr
4) Die Rückkehr der Soldaten
Abgesehen von den Kriegsgefangenen strömten ab Mitte November die Soldaten des Heeres zurück in die Heimat. Am 26. November 1918 kehrten die ersten Truppenteile der Göttinger Garnison in die Stadt zurück. Sie wurden mit großem Aufwand am Bahnhof empfangen. Die ihnen von Vertretern des Arbeiter- und Soldatenrats übergebene rote Fahne wussten sie nicht recht zu würdigen. mehr
5) Tanzwut
Die Einschränkungen des materiellen Lebens begannen sich nach Kriegsende nur zögerlich zu lockern. Weiterhin galt die strenge Rationierung von Lebensmitteln, die der Kleidung wurde langsam liberalisiert. Die Göttinger nutzten die neue Situation, um endlich wieder Feste zu feiern und zum Tanz zu gehen. Dies blieb - vor allem von konservativen Kreisen vorgebracht - nicht ohne Widerspruch. mehr
6) Gewerkschaften
Die Gewerkschaftsbewegung nahm mit der Revolution einen großen Aufschwung. Die Restriktion der Selbstorganisation der Arbeiter fielen weg, der Acht-Stunden-Tag wurde eingeführt. Davon profitierten die Freien Gewerkschaften, deren Mitgliederzahl 1920 über 8000 Personen lag. Neuerungen und Verbesserungen brauchten allerdings einige Zeit, um sich durchzusetzen. mehr
7) Universität
Auch die Studenten kehrten von der Front zurück. Sie verstärkten nicht nur die Wohnungsnot in der Stadt, sondern auch die Reihen der Reaktion und der Kritiker der Revolution. Aber es wurden auch liberale, progressive Impulse durch universitäre Kreise unterstützt, wie z.B. die Arbeiterbildungsschule. mehr
8) Wahlen
Mit der Revolution war auch das Drei-Klassen-Wahlrecht in Preußen überwunden. Das neue Wahlrecht erschloss neue große Wählerschichten. Die Parteienlandschaft sortierte sich in Teilen neu, es kam zur Gründung der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) oder der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP). Die erste Regierungskoalition der neuen Republik bestand aus den Ausgegrenzten des Kaiserreiches: Den Sozialisten (SPD), den Liberalen (DDP) und den Katholiken (Zentrum). mehr
9) Frauenwahlrecht
Die Frauen waren Dank der Einführung des allgemeinen Wahlrechts eine heftig umkämpfte Wählergruppe. Auch politische Organisationen, für die das Frauenwahlrecht bislang undenkbar war, mussten sich notgedrungen nun damit arrangieren bzw. einigermaßen glaubwürdig um die Stimmen der Frauen konkurrieren. Der gesellschaftlich-emanzipatorische Impuls war verhalten, Frauen in politischen Gremien blieben weiter die Ausnahme. mehr
10) Reaktion
Die Ablehnung der Revolution speiste sich aus den verschiedensten Quellen. Eines der verbreitetsten war das Gefühl, betrogen worden zu sein. Vier Jahre Krieg und persönliche Opfer mündeten in eine Niederlage, für die die Verantwortlichen über die "Dolchstoßlüge" schnell ausgemacht waren: Linke, Sozialisten, Juden und Pazifisten. mehr
11) Kapp-Putsch
Der Versuch der Auflösung von zwei Freikorps-Einheiten löste einen Putsch rechter Kreise aus: den Kapp-Lüttwitz-Putsch. In Göttingen dominierte für einige Zeit das
Militär. Das Rathaus wurde bewacht, Stacheldraht gezogen und die Zeitfreiwilligen einberufen. Mit knapp über 8000 Personen beteiligte sich die Göttinger Arbeiterschaft an dem reichsweiten
Generalstreik. mehr
12) Symbole
Die Bedeutung der Farbe Rot als Symbol für Revolution und Neuanfang überdauerte kaum zwei Monate, bevor sie fortan zur Identifizierung all dessen diente, was als "links" galt. Die Symbole der neuen Republik funktionierten nicht, weder der Name, noch die Fahne, noch die Personen. mehr
13) Ausblick
Die Ausstellung nahm in der Betrachtung der Novemberrevolution explizit ihren Blickwinkel nicht vom Ende der Weimarer Republik, von ihrem "Scheitern". Dennoch deutete sie in den letzten drei Abschnitten Entwicklungen an, die zum Ende des ersten demokratischen Staates auf deutschem Boden beitrugen. mehr