Anstehen nach Fleischwaren am Schlachthof, 1914-18. Städtisches Museum Göttingen
Anstehen nach Fleischwaren am Schlachthof, 1914-18. Städtisches Museum Göttingen

Kriegsende

 

„Es stand abends immer eine Briefwaage auf dem Tisch, auf der die Brotrationen genau abgewogen wurden“. (Zeitzeugin)

 

Nach vier Jahren und zwei Monaten Krieg erklärte die Oberste Heeresleitung am 28. September 1918, dass der Krieg verloren ist und forderte die Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen. Diese Nachricht kam für die Bevölkerung völlig überraschend. Die Verantwortung dafür wollten die leitenden Militärs Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff aber nicht übernehmen. Ludendorff sagte drei Tage später gegenüber seinen Stabsoffizieren: "Ich habe aber Seine Majestät gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu verdanken haben, dass wir so weit gekommen sind. (...) Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben.“ Am 3. Oktober 1918 wurde unter Reichskanzler Prinz Max von Baden eine Regierung auf parlamentarischer Grundlage gebildet. Einen Tag später ersuchte das Deutsche Reich den Präsidenten der USA Woodrow Wilson um die Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen.

 

Für die Göttinger Bevölkerung bedeuteten die letzten vier Jahre soziale Not, Hunger und Entbehrungen. Das öffentliches Leben wurde vom stellvertretenden Generalkommando in Hannover militärdiktatorisch überwacht. Rationierungen wurden eingeführt. Heizmaterial war Mangelware, Wärme- und Speisehallen wurden eingerichtet, Ersatzstoffe eingeführt. Steckrüben und Brennesseln standen auf dem Speiseplan. 1916 enthielten die Nahrungsmittelrationen nur noch 1350, seit 1917 kaum noch 1000 Kalorien. Dies alles führte zusammen mit den hohen Verlusten an Menschenleben zu einer allgemeinen tiefen Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht.

Volksküche in der akademischen Turnhalle, Geiststraße, 1916-1920. Städtisches Museum Göttingen
Volksküche in der akademischen Turnhalle, Geiststraße, 1916-1920. Städtisches Museum Göttingen

Lebensumstände

 

Wie sahen nun die Lebensumstände in Göttingen während des Krieges aus. Ulrich Popplow resümiert seine Untersuchungen aus den 1970:

 

Frieren und Hungern lauerten vom ersten Kriegswinter an als Schreckgespenster in den Göttinger Wohnungen. Dabei hatte es an Warnungen nicht gefehlt. Schon am 12. August 1914 hatte der Magistrat zur Sparsamkeit im Verbrauch von Feuerungs- und Beleuchtungsmaterial gemahnt. Offene Ladengeschäfte, Apotheken und andere Verkaufsstellen blieben über Mittag geschlossen und ließen nach 19 Uhr Öfen wie Lampen verlöschen. Schritt für Schritt, Maßnahme für Maßnahme, Winter für Winter ging es bergab. Erst forderte man zur freiwilligen Abgabe von Kohlen auf, dann verbot man die Benutzung von Gasbadeöfen, von Warmwasserheizungen, von Gas-Zimmeröfen. Von Februar 1917 an regelte man den Verbrauch von Leucht- und Kochgas. Schulen wurden vorübergehend geschlossen, ebenfalls Cafes, Kinos, Theater und Konzertsäle. Die Öffnungszeiten der Geschäfte wurden weiter eingeschränkt. Für die Ärmsten der Armen hatte der Magistrat Wärmehallen eingerichtet, die von 15 bis 22 Uhr geöffnet waren.

 

Und dennoch: die Heizungsnot war groß, der Nahrungsmangel aber war größer. Gefroren wurde nur im Winter, gehungert aber während des ganzen Jahres". Essen war das Thema Nr. 1. Speisehallen öffneten ihre Tore, Speisewagen rumpelten durch die Straßen, der erste Ende Mai 1916 — doch der Hunger wuchs weiter. Ersatzstoffe kamen: Kunsthonig‚ Eipulver, Milchpulver, Kriegsbrot (mit zehn bis zwanzig Prozent beigebackenen Kartoffeln). Sammelausflüge wurden organisiert: zum Suchen von Pilzen und Kräutern, nicht zuletzt von Brennnesseln. Ganze Schülerarmeen schwärmten aus, um Bucheckern zu sammeln. Und seit dem Winter 1916/17 hatte man die vielseitige Verwendbarkeit der Steckrübe schätzen gelernt: als Frisch- oder Dörrgemüse, als Marmeladenstreckung und Brotzusatz, als Suppe und Pudding, als Brotaufstrich und Mehl. 2250 Kalorien etwa hätte eine Durchschnittsperson täglich benötigt. Bereits 1916 enthielten die Nahrungsmittelrationen nur noch 1350, seit 1917 kaum noch 1000 Kalorien. Viele Göttinger starben an Unterernährung. Wen wundert es, daß unter solchen Verhältnissen der Schleich- oder Schwarzhandel, die Felddiebstähle und das Hamstern wild ins Kraut schossen"? Jeder war jetzt sein Selbstversorger, in des Wortes schillerndster Bedeutung. (Quelle: Popplow 1976, S. 208-209)

 

In den Zeitzeugeninterviews von Ulrich Popplow ist zu lesen:

 

Dr. Heinrich Bethe, geboren 1901, Zahnarzt.

An den Hunger erinnere ich mich. Das war ja damals auch schon so. Aber wir waren eigentlich immer zufrieden. (…) Ich habe meine Beine immer unter Mutters Tisch stellen können und habe immer die Bratkartoffeln abgekriegt. Die anderen, die von auswärts kamen, waren schlimmer dran.

G., H. wurde 1905 geboren. Zur Zeit der Novemberrevolution war er noch Schüler. Der Beruf seines Vaters war Maurerpolier, seit 1903 Mitglied der SPD. Er selbst wurde später städtischer Beamter und trat 1927 in die SPD ein.

Ich ging damals nach zur Schule. Es schwebte schon irgendetwas in der Luft. Ich wußte damals nie, ob ich zur Schule mußte oder nicht. Anfang November warfen die Ereignisse ihre Schatten schon voraus, sodaß man sagen konnte: irgendwie wird sich schon etwas tun, und der Krieg wird nun seinem Ende zugehen. Es wurde immer schlechter mit der Lebensmittelversorgung. Am Marktplatz standen Baracken, wo Lebensmittel auf Marken ausgegeben wurden. Ich kann mich erinnern, daß in der Theaterstraße ein Milchgeschäft war, vor dem Menschenschlangen in einer Länge von fünfzig bis hundert Metern standen, um vielleicht einen halben Liter Magermilch zu bekommen.

(Haben Sie in diesen Schlangen Äußerungen gehört, die auf die Stimmung schließen ließen?) Man kann wohl allgemein sagen, daß alles kriegsmüde war; zumal immer wieder Meldungen kamen, Männer seien gefallen. Es war deprimierend für die Leute, und sie hatten die Nase gestrichen voll. Sie hofften, daß nur Kram bald an Ende gehen würde.

 

Konrad Büsing, geboren 1905 – Beruf des Vaters: Königlich-preußischer Beamter an der Universität – Verwaltungsdirektor – parteilos

Ich war 1918 dreizehn Jahre alt und Untertertianer. Die Ernährungslage war ungewöhnlich schwierig. Aber sie war in Göttingen nicht so schlimm wie in anderen Gegenden, weil wir noch stark mit dem Lande verbunden waren. Wir hatten auch einen Garten. Wir hielten Kaninchen und Hühner, und wir hatten ein Schwein, um die wirtschaftliche Not zu vermindern.

Wir hatten 1918 viel schulfrei. Wir zogen von der Schule aus los, um Laub zu sammeln. Das Laub wurde getrocknet, gepreßt und der Wehrmacht als Pferdefutter zur Verfügung gestellt. Das Laubsammeln war gleichzeitig ein Wettbewerb für die Klassen. Wir hatten Kohlenferien, weil der Brennstoff knapp war. Teilweise wurde der Unterricht der Schulen auch zusammengelegt. Wir sammelten von der Familie aus Bucheckern. Damit haben wir unseren Fetthaushalt ganz wesentlich verbessern können.

 

Else Mävers, geboren 1896, war Lehrerin. Ihr Vater war Rektor an der Albanischule. Sie trat in keine Partei ein.

Wir wohnten am Ende des 0stviertels. Hinter dem Haus hatten wir selbst etwas Landwirtschaft, bauten etwas Gemüse und Kartoffeln an. Außerdem hatten wir Kaninchen, Hühner und eine Ziege, die uns mit Milch versorgte. Das war notwendig, weil wir acht Kinder waren, die alle satt werden wollten. Es stand abends immer eine Briefwaage auf dem Tisch, auf der die Brotrationen genau abgewogen wurden. Die jüngeren Kinder bekamen immer etwas mehr als die älteren.

 

Willi Reinhard war zur Zeit der Revolution 14 Jahre alt. Er erlernte den Beruf eines Bäckers und trat 1926 in die SPD ein.

Der Krieg ging zu Ende, und ich war seit einem halben Jahr in der Lehre. Die Ernährungslage war schlecht. Es fehlte eigentlich an allem, angefangen beim Brot bis hin zu Fleisch und Fett. Nur Brot war für uns in unserer Lehrstelle bei Bäckermeister Stiehl in der Burgstraße vorhanden. Sonst mußte man von der Hand in den Mund leben. Die Meisterin sorgte dafür, daß wir halbwegs durchkamen, mit Schmalzbroten, Käse usw. Zusätzlich beschaffte man sich etwas von seinen Verwandten vom Lande. Meine Mutter stammte aus Landolfshausen, und dort holten wir uns dann Eier, ein Stück Speck und ähnliches.

 

Gretchen Gellinek, geb. Calsow‚ geboren 1893, war die Tochter des Oberbürgermeisters. Offizierswitwe — parteilos
Vom November 1917 bis November 1918 habe ich in einer kleinen Munitionsfabrik gearbeitet. Damals war nämlich aufgerufen worden, daß keine Männer da wären und daß sich dann auch Frauen melden sollten. Das habe ich eben getan. (...) Die Lehrlinge und Gesellen waren sehr nett. Wir machten gemeinsame Frühstückspausen. Wenn wir Nachtschicht hatten, bekamen wir von dem Betrieb aus etwas Brot und ein Stick Wurst extra. Das nahm ich strahlend mit nach Hause, denn wir lebten zu Hause sehr knapp. (...)
Wir gingen morgens um 9 Uhr los, kamen nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause und waren froh‚ wenn wir zwei Flaschen Öl herausbekamen. Es gab einen großen Fett- und Buttermangel.
(Somit beanspruchte der Oberbürgermeister von Göttingen keine Sonderrechte für sich?) Nein, das erlaubte Vater nicht. Nur zu seiner Silberhochzeit, die 1918 war, durften wir aus Weißfischen einen Auflauf machen, und die Küchenhilfe durfte ein Stück Fleisch besorgen.
(Haben Sie in der Munitionsfabrik Beobachtungen machen können, wie die anderen sozialen Schichten dachten?) Viele der jungen Menschen dort stammten vom Lande. Die haben wir immer etwas neidisch betrachtet, weil sie dicke Wurstbrote aßen, die wir nicht hatten. Auf dem Lande herrschte also kein Lebensmittelmangel. Wir waren trotzdem in ihre Gemeinschaft integriert. Das hat mir ein unwahrscheinliches Verständnis für die Menschen gegeben. Wir taten alle das Gleiche. Wenn man sagt: "Die haben es ja noch gar nicht versucht‚ sich weiterzubilden," muß man bedenken, wie müde man ist, wenn man acht Stunden dasselbe tut.

 

Mannschaft der Posen, Anfang November 1918, zur Zeit des Matrosenaufstandes in Brunsbüttel. Der Göttinger Wilhelm Dettmer, Jahrgang 1897, war Mannschaftsmitglied auf der Posen. Foto: Sammlung Sönke Linning
Mannschaft der Posen, Anfang November 1918, zur Zeit des Matrosenaufstandes in Brunsbüttel. Der Göttinger Wilhelm Dettmer, Jahrgang 1897, war Mannschaftsmitglied auf der Posen. Foto: Sammlung Sönke Linning

Matrosenaufstand

 

Einige Göttinger waren zur Zeit des Matrosenaufstands Anfang November 1918 in der kaiserlichen Marine. Den Aufstand selbst erlebten mit: Ernst Oehme, Karl Meyer (beide später KPD), Heinrich Böker und August Mennecke. Einen Glücksfall bildet das Interview mit Wilhelm Dettmer, Jahrgang 1897. Sein Vater arbeitete als Hofmeister an der der Städtischen Brauerei Göttingen, er selbst wurde Postbeamter.


„Ich war auf dem Linienschiff „Posen" des 1. Geschwaders. Wir waren hauptsächlich in der Nordsee.
(Frage: Wie war die Stimmung auf dem Schiff?)
Bis 1918 war die Stimmung gut. Ende Oktober 1918 wurden die Geschwader auf verschiedene Häfen verteilt. Ein Teil des Geschwaders blieb in Wilhelmshaven. Der Rest des 1. Geschwaders, darunter auch die „Posen", ging im Kaiser-Wilhelm-Kanal vor Anker. Das 2. und 3. Geschwader mußten nach Kiel. So kam nun dieser berühmte Tag. Da hieß es: Heute abends ist eine Matrosenversammlung in Brunsbüttel-Koog. So hieß unser Ort. Ich hatte frei und bin auch hingegangen. Die Leitung dieser Versammlung hatte die Küstenartillerie. Nach einer Stunde hieß es: So, jetzt machen wir Schluß. Wir räumen jetzt auf. Wer nicht mitmachen will, kann den Saal verlassen. Es ging keiner, weil draußen vier Mann mit Gewehren standen. Weiter hieß es: Die Offiziere sind ab sofort abgesetzt. Sollte aber die englische Flotte angreifen, werden sie wieder eingesetzt. Dann gingen wir ins Arsenal. Dort bekam jeder hundert Schuß und eine Knarre in die Hand gedrückt. Dann zogen wir zu den Scheinwerfern und hackten die Kabel durch. Die Führung hatten die Deckoffiziere der Küstenartillerie übernommen.
Es ging weiter zur Schleuse, wo die "Posen" gerade mit dem Heck auslief und auf dem Meer ankerte. Sofort lief einer von uns zum Morseapparat und morste, die "Posen" solle sofort einlaufen. Nach einigen Absagen, die die "Posen“ gab, wurde gesagt: Wenn ihr nicht binnen zehn Minuten einlauft, wird das Schiff torpediert. Daraufhin kam die "Posen" zurück. An beiden Seiten der Schleuse standen die Matrosen mit geladenen Gewehren.
    (Frage: Waren Sie auch da mit einem Gewehr?)
Ja, wir mußten ja alle. Der Kommandant des Schiffes war damals Kapitän zur See von Grossek (Kapitän zur See Wilhelm von Krosigk, RD). Er war kein guter Offizier, weil er zu wenig Courage hatte. Als nun aber zwei Deckoffiziere und drei Matrosen auf das Schiff kamen und ihn aufforderten, seinen Dolch abzugeben und die Führung des Schiffes niederzulegen, zeigte er Mut und sagte: Da denk' ich gar nicht dran. Ich habe einen Eid abgelegt und den führe ich durch. Da riefen die Deckoffiziere: An die Gewehre! Das klappte alles. Nun sagte der Kommandant: Unter dieser Bedrohung sehe ich mich gezwungen, meinen Degen niederzulegen, und er gab seinen Degen ab. Die kamen nun aus der Schleuse heraus und legten wieder an Land an.
In derselben Nacht wurde ein Soldatenrat gewählt, dessen Führer der Obermaat Stummer war.     (Frage: Können Sie sich noch an das Datum erinnern? War es der 4. November?)
Das war von 5. auf den 6. November. Am nächsten Morgen hieß es dann: Obermatrose Dettmer, Sie gehen mit acht Mann in das Bahnhofshotel von Brunsbüttel-Koog! Sie werden von Bord verpflegt. Ich ging also mit Gewehr und Munition in das Bahnhofshotel. Gegen 11 Uhr oder 12 Uhr wurde uns gesagt: Es kommt ein Zug aus Heide. Die sollen die Revolte niederschlagen. Aber dann zogen sofort hundert Marinesoldaten nach dem Bahnhof von Brunsbüttel-Koog.
    (Frage: War das am 6. November?)
Das war am 6. November. Es traf auch tatsächlich ein Zug mit Infanterie aus Heide ein, die sollten die Revolte niederschlagen. Aber da war wohl auch etwas faul, denn die gesamte Munition befand sich in einem Viehwagen am Ende des Zuges. Wir riefen also gleich: Ergebt Euch! Da haben die auch gemacht.
Ich saß im Hotel am Telefon und war Befehlsübermittler. Auf einmal kamen zwanzig Infanteristen und ein paar Deckoffiziere zu mir mit Maschinengewehren und sagten: Vom Wald kommen die Wandsbeker Husaren (Husaren-Regiment „Königin Wilhelmina der Niederlande“ (Hannoversches) Nr. 15, auch als "Wandsbeker Husaren" bezeichnet, galt als besonders kaisertreu, RD). Die sind gegen uns angesetzt. Wenn die kommen, werden die gleich mit Maschinengewehren umgelegte Bau die uns mal auf!
    (Frage: Die Deckoffiziere waren also auf ihrer Seite und machten mit?)
Die mußten doch mitmachen. Der Soldatenrat in Brunsbüttel-Koog bestand zum größten Teil aus Deckoffizieren der Marine von der Küstenartillerie. Die kamen nun da an rnit ihren Maschinengewehren, und ich hatte gar keine Ahnung von Maschinengewehren. Da nahmen die Infanteristen das in die Hand, aber die Husaren kamen nicht. So blieb das dann am 6. und 7. November und da hörten wir, daß in Kiel auch Revolte war. Das war da ein oder zwei Tage später geschehen. Das liegt wohl daran, daß in Kiel die Verbindung zu den Landtruppen viel weiter war und länger dauerte. Wir hörten nun, daß Kiel, Wilhelmshaven und Cuxhaven auch mit gemacht hatten. Da dachte ich mir: Was sollst Du noch hier? Hier döst du doch nur den ganzen Tag herum. Nachts kommst du aus den Klamotten auch nicht heraus. Eines Nachts schlich jemand im Haus herum. Ich ging auf den Flur und sah den Kapitänleutnant Plaue, der auf der „Posen" gewesen war. Der erzählte mir, er nach Hause wollte. Ich sorgte dafür, daß er mit dem Zug nach Hause kam. In Brunsbüttel-Koog wurde jeder Offizier gut behandelt.
Nun dachte ich mir: So kann das nicht weitergehen. Ich ging zum Soldatenrat und sagte: Nun habt ihr mich dahin gesetzt, gebt mir auch einen Schein, daß ich Waffen tragen kann. Ich bekam einen Schein. Nun konnte ich Waffen tragen und hinfahren, wo ich wollte. Eines Tages setzte ich mich also in den Zug und fuhr nach Göttingen. Ich kam hier am 13. November an."

 

An Wilhelm Dettmer erinnerte sich ein anderer Zeitzeuge:

Ernst Fasshauer war zu der Zeit 17 Jahre alt.

"Als sich zum ersten Mal von der Revolution hörte, ich saß gerade beim Frisör und ließ mir die Haare schneiden, da kam jemand in den Laden gestürzt und rief: "Die Revolution ist ausgebrochen! In Kiel meutern die Matrosen". Wir rannten alle auf die Straße, ich hatte die Haare nur halb geschnitten, dann mußten wir alle wieder hinein und hatte ich keine Ruhe mehr und war nur darauf bedacht, daß ich wegkam, und mußte mir die Haare weiter schneiden lassen."
An Wilhelm Dettmer erinnert er sich ebenfalls: "Aber ich erinnere mich an eine Arbeiterversammlung in einem Zelt, das von einem Göttinger Zirkus stammte. Wir Jugendlichen saßen in den obersten Reihen und lachten über die Erwachsenen, die unten Reden führten und sich dabei sehr ereiferten. Was sie sagten, begriffen wir jedoch nicht.
Außerdem kann ich mich an einen "Kieler Matrosen" - Dettmer hieß er - erinnern, der mit einer roten Kokarde an seiner Mütze herumlief und sich sehr revolutionär gab."