Hintergrund der Verfassungsfrage

Der Hannoversche Staatsdiener, hatte er die Verfassungsdiskussion seit Juli verfolgt und war er auf der Seite der Kritiker des Königs, stand selbst bei guter Informationslage vor einem Dilemma: welche Verpflichtung wog schwerer, der Gehorsams- und Treueid auf den König oder der Schwur auf die Verfassung? Die neue Theorie von der Staatssouveränität (oberste Kompetenz zur Machtausübung im Staat) legte nahe, die Verfassung über den königlichen Willen zu stellen. Nach der älteren monarchisch-patriarchalischen Theorie (der König als Vater seiner Landeskinder) musste aber einer Verweigerung des Huldigungseides (und damit des Diensteides) gegenüber dem rechtmäßigen Monarchen die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis folgen.


1833 wurde der auf die Verfassung von 1819 geleistete Eid von seiten der Regierung formlos (ohne Zustimmung der hannoverschen Stände) auf die neue Verfassung ausgedehnt. Damit wurde sein Inhalt einseitig verändert und seine moralische Verbindlichkeit zumindest fraglich. Also bestand nach 1833 zwar eine Amtspflicht zur Anerkennung der neuen Verfassung, aber keine eidlich bekräftigte Verpflichtung.


Auch im Kreis der 32 Göttinger Universitätslehrer herrschte Uneinigkeit: einige bedauerten zwar den Untergang der Verfassung, wollten aber die Universität nicht durch den Unwillen Ernst Augusts gefährden. Andere waren empört über den König, wollten aber mit einer konkreten Aktion abwarten. Denn mit der Aufhebung des Staatsgrundgesetzes war die Ankündigung einer Wiedereinberufung des vorkonstitutionellen (vor der geltenden Verfassung entstandenen) Ständelandtags verbunden. Die Wahl eines neuen Göttinger Deputierten (für die Korporation Universität) sollte zum Protest genutzt werden. Eine kleine Gruppe von sieben Professoren entschied, zu handeln und eine »Protestation« zu formulieren. Aber selbst sie waren uneins, ob einzelne Professoren oder die Korporation der Universität das Recht zur Eingabe eines Protestes hätten. Auch der Adressat war umstritten: sollte man sich direkt an das königliche Kabinett in Hannover oder aber an das Kuratorium der Universität wenden, das die für Professoren zuständige Behörde war?


Ihre Protestation nahm die Argumente der Verfassungsdiskussion auf, die Begründung ihres Schrittes ist aber letztlich eine persönliche – die Eidbindung. Nimmt man es genau, hatte von den "Göttinger Sieben" allerdings nur Gervinius diesen Eid geleistet.


Letztlich hing alles an der Gültigkeit des Staatsgrundgesetzes von 1833. War dieses ungültig, so hatten auch die Eide ihre Grundlage und damit ihre Verbindlichkeit verloren. Dahlmann hatte diese Konsequenz richtig gesehen und geschrieben: „Wenn der König die Verfassung zurecht außer Kraft gesetzt hat, dann sind wir Sieben wirklich Verbrecher, verdienen die Absetzung, wo nicht schlimmere Strafe.“