Kapp-Putsch, 12.03.1920: Rechtsradikale Truppen in Erwartung des Putsches auf dem Potsdamer Platz/Berlin. Foto: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung
Kapp-Putsch, 12.03.1920: Rechtsradikale Truppen in Erwartung des Putsches auf dem Potsdamer Platz/Berlin. Foto: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung

Kapp-Lüttwitz-Putsch

 

"Nachdem der Militärgeistliche die Toten der Erde übergeben hatte, sangen die vereinigten Arbeitergesangvereine ihren Kollegen einige Abschiedslieder." (Göttinger Zeitung 23. März 1920)


Reichswehrminister Gustav Noske löste am 29. Februar 1920 die Marinebrigade von Hermann Ehrhardt und das Freikorps Loewenfeld auf. Walther von Lüttwitz, ranghöchster General der sog. Vorläufigen Reichswehr, widersetzte sich. Er marschierte am 13. März mit der Marinebrigade in das Berliner Regierungsviertel ein. Lüttwitz ernannte den ostpreußischen Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp zum Reichkanzler.
Von der Reichswehr nicht unterstützt, floh die Regierung von Reichskanzler Gustav Bauer und Reichspräsident Ebert aus Berlin. SPD-Regierungsmitglieder und der SPD-Vorsitzende Otto Wels riefen zum Generalstreik auf. Das führte u. a. zum Zusammenbruch öffentlicher Dienstleistungen. Da sich auch Ministerialbeamten weigern, Kapps Anordnungen zu folgen, scheitert der Putsch nach vier Tagen.

 

Die Göttinger Zeitung erschien mit Beginn des Generalstreiks am 15. März 1920 nicht mehr. In der Ausgabe vom 23. März wurde eine Chronik der Geschehnisse in Göttingen veröffentlicht. Sie wird hier zusammen mit Informationen aus Dokumenten wiedergegeben.

 

Sonntag 14. März 1920

  • Zusammentritt des Gewerkschaftskartells und Beschluss über den Generalstreik.
  • Der Vorstand der DDP wird aktiv. Er tritt an die anderen Parteien heran, um gemeinsame Schritte zu unternehmen.
  • 17 Uhr: Vertreter der DDP, DHP, SPD, USPD und Zentrum beschließen die Kundgebung (Plakat: Arbeiter, Bürger …).

 

Montag 15. März 1920

 

  • Rechtsstehende Kreise in der Stadt versuchen, die DDP für den Generalstreik verantwortlich zu machen.
  • Generalstreik in alle Betrieben Göttingens.
  • Spontane Versammlungen von Arbeitern auf der Weenderstraße, gewerkschaftliche Vertrauensleute wirken dabei beruhigend auf die Versammelten ein.
  • 10 Uhr - größere Versammlung auf dem Markt, Oberbürgermeister Georg Calsow spricht beruhigende Worte, Major v. Ahlemann (Garnisonältester und Kommandeur der Reichswehrtruppen in Göttingen) provoziert die Versammelten mit der Androhung von Waffengewalt.
  • Eine Versammlung von Vertretern der fünf Parteien, des Magistrats und der Bürgervorsteher verlangen Auskunft von v. Ahlemann, wie er zum Putsch stehe. Dieser weicht zunächst aus. Ein Telegramm aus Kassel bringt die Meldung, dass das Reichswehrgruppenkommando 2 (Westdeutschland) sich klar für die rechtmäßige Regierung erklärt.
  • Sicherung des Rathauses durch Reichswehr und Einwohnerwehr.
  • Gewerkschaftsvertreter versichern, den Streik abzubrechen, wenn der Putsch niedergeschlagen ist.
  • Sonntagnachmittag: Massenversammlung im Colosseum, SPD-Vertreter Schiller spricht.

 

Dienstag, 16. März 1920

 

  • Die Aktivierung der Zeitfreiwilligen begünstigt Gerüchte: In Arbeiterkreisen wächst die Furcht, dass die bewaffneten Studenten sich auf die Seite der Putschisten schlagen.
  • Absperrung aller Straßen zum Rathaus/Marktplatz durch Stacheldraht und bewaffnete Posten, Maschinengewehre am Rathaus.
  • Die Göttinger fragen sich: Gegen welchen Feind richtet sich dieses Aufgebot? Empörung in Arbeiterkreisen über diese Provokation.
  • Ahlemann lässt die Truppen, Reichswehr und Zeitfreiwillige, auf dem Marktplatz mit Musik paradieren. Die Kritik an seiner Person wird darauf hin so groß, dass nun Major Ahlborn das Kommando nimmt.
  • Dieser verfolgte eine Deeskalationsstrategie gegenüber der Arbeiterschaft, General v. Hülsen (stellv. Generalkommando 10. Korps, Hannover) verhängt den verschärften Ausnahmezustand.
  • Größere Menschenansammlung am Abend in der Weenderstraße.
Vor dem Göttinger Rathaus, 16. März 1920. StA Göttingen
Vor dem Göttinger Rathaus, 16. März 1920. StA Göttingen

Die Göttinger Zeitung spricht von einer „größeren Menschenansammlung am Abend in der Weenderstraße am Dienstag, 16. März 1920. An diesem Tag dauert der Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch in Berlin bereits zwei Tage. Zwei Tage Generalstreik bedeuten zwei Tage ohne Zeitungen, zwei Tage ohne Nachrichten über den Putsch. Die Göttinger versuchten sich deshalb direkt am Rathaus zu informieren.

Mittwoch 17. März 1920

 

  • Nachmittag: Massenversammlung im Colosseum, einberufen vom Aktionsausschuss (1 Vertreter der KPD, 2 der USPD, 2 der SPD), Versammlungsleiter Franz Arnholdt.
  • Der Rücktritt von Wolfgang Kapp wird in der Stadt bekannt.
  • Abends: Gerüchte in der Stadt über die Ausrufung der Räteherrschaft, starke Militärpräsenz auf dem Marktplatz, verbale Auseinandersetzungen von Arbeitervertretern mit Oberbürgermeister Calsow.

 

Donnerstag 18. März

 

  • Bereits um 8 Uhr sind die Straßen stark belebt, 9 Uhr Entwaffnung einer Gruppe von Zeitfreiwilligen in der Prinzenstraße, Beruhigung der Situation durch Arbeiterführer.
  • 11 Uhr Alte Kaserne am Geismartor: Eine größere Menge Menschen versucht, eine Deputation zu Major Ahlborn zu schicken. Die Posten weisen sie ab. Die Wache wird alarmiert und drängt die Menge Richtung Wall ab: Es fällt ein Schuss. Die beiden Arbeiter Gerstenberg und Ludolph werden getroffen und erliegen ihren Verwundungen. Geschossen hatte ein Zeitfreiwilliger.
  • Nach diesen Ereignissen versucht die aufgeregte Menge, in das Rathaus einzudringen. Arbeiter der Einwohnerwehr verhinderten dies.
    Die Menge versammelt sich daraufhin auf dem Wilhelmsplatz.
  • Nachmittag 15:30: Die Versammlung des Gewerkschaftskartells beschließt mit 92 gegen 15 Stimmen das Ende des Generalstreiks.
 Verhandlungen vor der Firma Ruhstrat nach Beendigung des Streiks am 19. März 1920. StA Göttingen
Verhandlungen vor der Firma Ruhstrat nach Beendigung des Streiks am 19. März 1920. StA Göttingen

Streik

Auch in Göttingen kommt es zu einem Generalstreik gegen den Putsch. Ab dem 15. März nahmen 8094 Personen teil, die Zahl entspricht der Mitgliederzahl der Freien Gewerkschaften in Göttingen. In der Nachweisung über einen Streik, der von der Polizei ausgefüllt wurde, heißt es, dass es in den vier Tagen keine Arbeitswilligen gab.

Am 17. März schlossen sich die meisten Angestellten dem Streik an. Einige Geschäfte hielten aber ihren Betrieb aufrecht. Dagegen richtete sich der Zorn einzelner Gruppen aus der Arbeiterschaft und führte zu teilweise tumultösen Szenen.

Nachweisung über den Generalstreik gegen den Kapp-Putsch vom 15. bis zum 19.03.1919. StA Göttingen
Nachweisung über den Generalstreik gegen den Kapp-Putsch vom 15. bis zum 19.03.1919. StA Göttingen

Göttinger Zeitung,  23.03.1919: Tötung der Arbeiter Heinrich Gerstenberg und Karl Ludolf durch einen Zeitfreiwilligen am 18. März. StA Göttingen
Göttinger Zeitung, 23.03.1919: Tötung der Arbeiter Heinrich Gerstenberg und Karl Ludolf durch einen Zeitfreiwilligen am 18. März. StA Göttingen

Todesopfer

Das Klima in Göttingen war angespannt: Die Göttinger Zeitfreiwiligen wurden in der Nacht zum Dienstag, den 16.03.1919 einberufen. Das Auftreten des Militärs am Dienstag, die o.g. angesprochenen Aktionen gegen einzelne Geschäfte sowie die Gerüchte über die Einführung einer Räterepublik trugen dazu bei. Die Menschen waren verunsichert.

Am Donnerstag, den 18.03.1919, fand sich eine größere Menge vor der Kaserne ein, um eine Deputation an den Standortältesten zu schicken. Die Deputation wurde abgewiesen, die Menschen gegen den Wall hin abgedrängt. In dieser Situation schoss eine der Wachen, ein Student, Angehöriger der Zeitfreiwilligenformation. Der Eisenbahnarbeiter Heinrich Gerstenberg (31 Jahre, auf Wahlvorschlagsliste des Gewerkschaftskartells) und der Weichensteller Karl Ludolf starben.

Rechtsanwalt Proskauer an Magistrat, 27.03.1920. StA Göttingen
Rechtsanwalt Proskauer an Magistrat, 27.03.1920. StA Göttingen