Postkarte „Hakenkreuz über Göttingen“, Fotomontage 1933. Städtisches Museum Göttingen
Postkarte „Hakenkreuz über Göttingen“, Fotomontage 1933. Städtisches Museum Göttingen

Ausblick


Der Kapp-Putsch scheiterte an einem breiten Bündnis der Verteidiger der Republik. Allerdings war die Kraft der Republikgegner damit nicht aufgebraucht. Politische Morde rechter Geheimorganisationen schufen Unruhe und sollten dies auch: Der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger wurde am 26. August 1921 getötet, ein Attentat auf Philipp Scheidemann scheiterte am 4. Juni 1922, 20 Tage später wurde Außenminister Walther Rathenau ermordet.
Auch die linken Radikalen um Spartakusbund und KPD unternahmen mehrere bewaffnete Umsturzversuche, zuletzt die Rote Ruhrarmee im Gefolge des Kapp-Putsches. Gefahr drohte aber eher von rechts. Rückgrat der reaktionären Geheimorganisationen waren meist aktive oder ehemalige Reichswehroffiziere. Die Attentäter der Organisation Consul (O. C.) mit ihrem Kommandeur Hermann Ehrhardt haben beste Verbindungen zum Münchner Polizeipräsident Ernst Pöhner, einem NSDAP-Sympathisanten.
Vor diesem Hintergrund verabschiedete der Reichstag am 21. Juli 1922 das "Republikschutzgesetz". Es sollte Angriffe auf Regierungsmitglieder und die republikanische Staatsordnung abwehren. Ende 1924 fand endlich ein Prozess gegen die Mitglieder der Organisation Consul statt. Allerdings wurden diese "ehrenhaften, wahrheitsliebenden und unerschrockenen Männer“, wie der Anklagevertreter sie nannte, freigesprochen. Ein Problem der Weimarer Republik waren nicht ihre Gesetze, sondern die Personen, die sie vertraten. Eine weitere Schwierigkeit war die Polarisierung der politischen Richtungen und die Bereitschaft zur Gewaltanwendung. Der nächste Putschversuch fand in München statt: der Hitler-Ludendorff-Putsch am 9. November 1923.

 Walther Rathenau (1867-1922) war ein liberaler Politiker der DDP und Außenminister. Er wurde am 24. Juni 1922 in seinem Wagen auf dem Weg ins Auswärtige Amt ermordet. Die drei Täter gehörten ebenfalls zur Organisation Consul. Diese war eine terroristische Vereinigung mit nationalistischem und antisemitischem Hintergrund. Sie wurde von Hermann Ehrhard geführt.
Auch Rathenau, der Walther,
Erreicht kein hohes Alter,
Knallt ab den Walther Rathenau,
Die gottverdammte Judensau!  hieß es in einem populären Lied der Freikorps.
Der Schriftsteller Kurt Tucholsky urteilte : Rathenau ist für die Republik ermordet worden, die ihn niemals geschützt hat.

Nach der Revolution bildete sich eine Vielzahl von reaktionär-nationalistischen Vereinen und Gruppierungen. Für Göttingen waren die größeren:

 

  • Der Jungdeutsche Orden ist zeitweise der größte nationalliberale Verband der Weimarer Republik. Hervorgegangen aus einem Freikorps, wurde er 1920 in Kassel gegründet. Sein Profil war elitär und antisemitisch.
  • Der Stahlhelm Bund der Frontsoldaten wurde im Dezember 1918 von Franz Seldte gegründet. Seldte hatte zusammen mit Theodor Duesterberg den Vorsitz inne. Der Stahlhelm galt als bewaffneter Arm der DNVP. Er stand in eindeutiger Opposition zur Weimarer Republik. Der Verband hatte etwa 400 000 Mitglieder.
  • Am 15. Mai 1922, vergleichsweise sehr früh, teilte man der Göttinger Polizeidirektion die Gründung einer Ortsgruppe der NSDAP mit. Erster Vorsitzender wurde der Handwerker Heinrich Schrader, treibende Kraft war der Medizinstudent Ludolf Haase.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums stand der Weimarer Republik der Rote Frontkämpferbund (RFB) ablehnend gegenüber. Der Bund war eine paramilitärische Schutztruppe der Kommunistischen Partei Deutschlands. Er wurde im Juli 1924 in Halle/Saale gegründet. Der Bund hatte zwischen 50.000 und 100.000 Mitglieder. Er sollte zum Sammelbecken aller Linken unter Führung der KPD werden. 1929 wurde er vom preußischen Innenminister verboten, seine Nachfolgeorganisation war die Antifaschistische Arbeiterwehr.

Veranstaltungsankündigung im Göttinger Volksblatt, 20.06.1927. Foto Bons (1986)
Veranstaltungsankündigung im Göttinger Volksblatt, 20.06.1927. Foto Bons (1986)

Eine republikbejahende Organisationen wurde am 22. Februar 1924 in Magdeburg als Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund der republikanischen Kriegsteilnehmer gegründet.

Das Reichsbanner war eine Selbstverteidigungsorganisation der Republik. Ins Leben gerufen wurde es von den drei Parteien der Weimarer Koalition, SPD, DDP und Zentrum sowie den Gewerkschaften. Es sollte Staat und Republik gegen radikale Feinde verteidigen. Die Mitglieder waren meist ehemalige Kriegsteilnehmer. Das Reichsbanner verstand sich als Bewahrer der demokratischen Tradition der Revolution von 1848. Es hatte etwa drei Millionen Mitglieder.

 

Die Beurteilung der Revolution von 1918 in der Erinnerung der Zeitzeugen von 1974 fiel sehr heterogen aus:

 

Zeitzeugen

 

Konrad Büsing, geboren 1905, war Schüler des Königlich-preußischen Gymnasiums. Sein Vater war Königlich-preußischer Beamter an der Universität. Die Familie war strikt konservativ eingestellt.
(…) Ich habe sie (die Revolution) abgelehnt. Die sollte gestoppt werden. Die Arbeiter- und Soldatenräte habe ich abgelehnt. Ich glaube, die waren nicht die Elite der Bevölkerung, aber sehr dynamisch. Mag sein, daß man ihnen zu sehr Unrecht tut.


Hermann Dörries wurde 1895 geboren. Sein Vater war Pastor. Er selbst studierte und wurde Professor für Kirchengeschichte, ab 1929 am Theologischen Seminar der Universität Göttingen. Er gehörte während der NS-Diktatur zur Bekennenden Kirche.
(…) Ich habe die Revolution vollständig abgelehnt. Der Kaiser war zwar schwach und er ruinierte die kaiserliche Monarchie selber, aber bei einem anderen Kaiser wäre das alles sicherlich anders ausgegangen.
Für mich sind die Arbeiter- und Soldatenräte ganz negativ, eine reine Verbrecherbande.


Dr. Elisabeth Engelhard, Jahrgang 1895 war eine Offizierstochter. Sie arbeitete später als Direktorin einer Sonderschule.
(…) Vom Sozialen her hatte ich wohl schon viel Verständnis für die Revolution. (…)
(…) Wir empfanden,daß das Wilhelmische Zeitalter reif zum Abdanken sei, und von daher sahen wir die Revolution als eine positive Möglichkeit‚ daß nun alles besser werden könnte. So war die Übergangszeit wohl eine Zeit der Befreiung.


Hermann Fraatz, geboren 1883, war der Sohn eines Schmieds. Er selbst lernte Drechsler und arbeitete bei Kriegsbeginn im Reichsbahnausbesserungswerk. Seit 1903 war er SPD-Mitglied, wechselte 1918 zur USPD und schloss sich 1922 der KPD an. Für diese saß er ab 1926 im Rat.
(...) Wir haben die Revolution natürlich begrüßt . Die Räte waren wohl auch positiv, aber im einzelnen habe ich mich damit nicht so sehr befaßt . Mit Herrn Arnholdt habe ich viel zusammen erlebt. Wir waren gemeinsam in der Konsumgenossenschaft. Wir waren im Aufsichtsrat und haben gut zusammengearbeitet.


Gretchen Gellinek, geb. Calsow‚ geboren 1893, war die Tochter des Oberbürgermeisters. Offizierswitwe — parteilos
(...) Wir nahmen das dann einfach als eine Folgeerscheinung des Krieges hin. Das Parteiensystem‚ das nun eintrat‚ haben wir akzeptiert. Wir waren nicht erzkonservativ. Ich habe die Revolution nicht grundsätzlich abgelehnt.


G., H. wurde 1905 geboren. Zur Zeit der Novemberrevolution war er noch Schüler. Der Beruf seines Vaters war Maurerpolier, seit 1903 Mitglied der SPD. Er selbst wurde später städtischer Beamter und trat 1927 in die SPD ein.
(…) Ich habe die Revolution begrüßt. Ich war auch etwas revolutionär eingestellt, ganz besonders als es zum Zusammenbruch kam. Ich bin der Meinung, daß man bei der Revolution viel mehr hätte herausholen sollen und müssen, als es getan worden ist. Ich habe nicht verstanden, daß gegen die Arbeiterschaft das Militär wieder aufgeboten wurde. Meine Freunde und ich lehnten das ab.


Mathilde Kiel, geboren 1895 war Krankenschwester. Ihr Vater war Kaufmann, sie selbst trat in keine Partei ein.
(…) Die Revolution habe ich auf jeden Fall abgelehnt, und ich war auch dafür, daß sie gestoppt wird. Die Mitglieder der Arbeiter- und Soldatenräte waren aufgestachelte Menschen, de aufgrund ihrer Ideen glaubten, im Recht zu sein.


Willi Rehkopf war Jahrgang 1892. Er erlebte den Ersten Weltkrieg als Soldat. Sein Vater war Zementwarenfabrikant, er selbst studierte und wurde Lehrer.
(...). Ich habe die Revolution abgelehnt, weil sie das Unterste nach oben stülpte. Die Hefe kam nach oben. Der widerwärtigste Augenblick war für mich, als unserer Kompanie im Langensalza die Waffen abgenommen wurden und ein Mann vom Soldatenrat uns erklärte, das es keine Offiziere mehr gäbe und wir alle gleich seien. Ich war damals 0ffizier.


Lena v. Stutterheim, geboren 1889, war Tochter eines Professors. Sie arbeitete nach einer Kurzausbildung am Kriegsende als Krankenschwester.
(…)  Meine Eltern waren wie ich gegen die Revolution. Mein Vater war nationalliberal eingestellt.
(…) Ich habe die Revolution abgelehnt. Ich hasse alle Revolutionen. Sie hätte auf jeden Fall gestoppt werden müssen.
Die Mitglieder der Räte waren alles Spartakisten, Deserteure, Hergelaufene und Drückeberger. Sie hatten keine Arbeit, und ihre Frauen und Kinder hungerten. Als Mitglieder in den Räten wollten sie ihr Geld verdienen. Ein Mitglied erhielt – wie man hörte – 250, -DM im Monat. Anständige Leute und Soldaten waren nicht in den Räten vertreten.