Flugblatt 1919: Deutsches Hilfswerk für die Kriegs- und Zivilgefangenen. StA Göttingen
Flugblatt 1919: Deutsches Hilfswerk für die Kriegs- und Zivilgefangenen. StA Göttingen

Die Rückkehr der Soldaten

 

Die Rückkehr der Fronttruppen und etwas später die der ersten Kriegsgefangenen stellte die Göttinger Stadtgesellschaft vor große Probleme. Die bereits stark angespannte Versorgungslage und die herrschende Wohnungsknappheit wurde durch die Rückkehrer weiter strapaziert. Mehr

 

„Neuen unverwelklichen Lorbeer hat das 82. Regiment auf blutiger Wahlstatt um seine sieggewohnten Fahnen geflochten! Nicht alle, welche von uns auszogen zur Verteidigung des Vaterlandes, sind wiedergekehrt! Nur in stark gelichteten Reihen stehen die Helden heute nur noch versammelt (…).“ (Oberbürgermeister Calsow in seiner Willkommensrede am 26. November 1918)

 

Bis Jahresende kehrten die Fronttruppen in verschiedenen Transporten in ihre Garnison nach Göttingen zurück. (Göttinger Tageblatt, 28.11.1918) Ihre Ankunft am Bahnhof wurde stets von Vertretern des Arbeiter- und Soldatenrats begleitet. Bei den Soldaten trafen rote Fahnen und revolutionäre Reden sowie Ermahnungen, nicht zu plündern, häufig auf Unverständnis und Ablehnung. Sie zogen meist in militärischer Ordnung mit Militärmusik unter der schwarz-weiß-roten Fahne durch die Stadt. Zu Beginn, im November 1918, waren diese Situationen emotional hoch aufgeladen, es kam verschiedentlich zu Rempeleien. Der Arbeiter- und Soldatenrat war so besorgt, dass er zum Schutz der roten Fahnen auf dem Rathaus ein Maschinengewehr aufbauen ließ.

 

Im Sommer 1919 kehrten auch die ersten kriegsgefangenen Göttinger zurück. Das Kriegsgefangenenlager im Ebertal wurde zum Durchgangslager. Ein Empfangsausschuss kümmerte sich um die Rückkehrer. Die Kriegsgefangenenhilfe, eine Fürsorgeabteilung und Berufs- und Rechtsberatung halfen den Rückkehrern nach der Ankunft. Die Integration der Fronttruppen und der Kriegsgefangenen in die sich nun ändernden Gesellschaft war eine schwierige Aufgabe.

 

„Mein Bruder war mit 18 Jahren ins Heer eingetreten und kam mit ganz anderen Anschauungen zurück. Er dachte nun, daß er seinen Mann gestanden hätte und so ins Leben treten könne. So ging es vielen jungen Menschen: sie fanden sich einfach nicht mehr im bürgerlichen Leben zurecht.“ (Zeitzeugin)

 

Zeitzeugen

 

Barthold Helmoldt, Jahrgang 1896, war der Sohn eines Gutsbesitzers. Er selbst wurde Gärtner und blieb parteilos. Er war seit 1915 Soldat und trat nach Kriegsende als Offizier in ein Freikorps ein, in dem er bis 1920 blieb.

Ich kehrte Ende November 1918 aus Verdun zurück und traf in Göttingen zusammen mit meinem Regiment ein. Auf dem Bahnhof war ein Rednerpult mit rotem Tuch aufgestellt. Durch die jetzige Bahnhofstraße kam ein Zug von Angehörigen des Arbeiter- und Soldatenrates mit einer roten Fahne. Inzwischen war das Regiment angetreten und marschierte mit Marschmusik los. Die Angehörigen des Arbeiter- und Soldatenrates wußten nicht, was sie davon halten sollten; denn sie hatten ja ursprünglich vor, eine Rede zu halten. Dann sprangen aus der letzten Kompanie einige Soldaten heraus und warfen mit ihren Gewehrkolben die Rednertribüne um.

 

Helmut Kuß war Jahrgang 1906. Sein Vater war Rechtsanwalt und Notar, er selbst war zuletzt Oberstadtdirektor und Mitglied der CDU.

Ich erinnere mich noch an eine Versammlung auf dem Rathausplatz. Das war, als die 82er zurückkehrten. Sie zogen mit Musik in die Stadt ein, und wir, als Schüler, liefen mit. Stunden später hieß es, auf dem Marktplatz sei irgendetwas los, und wir rannten dorthin. Ich habe noch genau das Bild vor Augen, daß auf dem rechten oberen Turm, von vorne gesehen, eine rote Fahne wehte. Gruppen von Soldaten standen an der nördlichen Ecke, damals vor dem Hause Scheuermann. Es waren ungefähr drei bis fünf Gruppen von zehn, zwanzig Soldaten. Außerdem wimmelte der ganze Platz von Menschen. Es hieß, die Soldaten wollten die rote Fahne herunterholen; und ich habe noch genau in Erinnerung, wie der alte Dr. Deneke mit seinem eisgrauen Haar in unverfälschtem südhannoverschem Dialekt sagte: "Die ganze Welt hat Revolution, und die 82er alleine wollen keine Revolution." Mit diesem Wort ging er von Gruppe zu Gruppe und schleifte sein eines Bein nach, an dem er irgendein Leiden hatte. Aber wie die Geschichte dann ausgelaufen ist, daran erinnere ich mich nicht mehr.

 

Gerhard Lubrich war 1918 15 Jahre alt und besuchte das Gymnasium. Sein Vater war Beamter, er selbst arbeitete später bei der Ärztekammer. Er blieb parteilos.

(…) Einige Zeit später, noch im November, kam das Regiment 82 zurück, und vor dem Bahnhof marschierten sie auf. Nicht weit davon entfernt war eine Tribühne aufgebaut, und der damalige 0berbürgermeister Calsow begrüßte das Regiment in sehr netten, ordentlichen Worten.

Daraufhin sprach der letzte Kommandeur, ein Oberst von Schmidt, das sie sich freuten, zu Hause zu sein; wie damals eben die üblichen Ansprachen waren. Als dritter Redner wollte der Vorsitzende des Arbeiter-— und Soldatenrates, der Althändler Kahn aus Göttingen, die 82er begrüßen. Es kam nicht dazu, die Soldaten wurden etwas unruhig, und der 0berst von Schmidt kommandierte die Truppen in die Kasernen. Herr Kahn stand da nun etwas bedeppert allein auf der Tribüne. Der wurde also von den Soldaten nicht anerkannt. Wieder ein paar Tage später passierte das gleiche beim Reserve-Infanterie- Regiment 91 . Die wurden auf dem Güterbahnhof ausgeladen, und es waren auch verschiedene Leute vom Arbeiter- und Soldatenrat da, die sie begrüßen wollten. Diese kamen nicht dazu, weil mehrere alte Weltkriegsteilnehmer aus der Reihe traten und sie verprügelten. Das war also der Gegensatz zwischen Fronttruppe und Heimatsoldaten.

(Popplow 1975, S. 807–808)

 

Günther Ruprecht, geboren 1898, war gegen Kriegsende Offizier. Er gehörte keiner Partei an und folgte seinem Vater in der Leitung des Verlages.

Ich bekam den Auftrag, den Empfang des Regiments 82 unter Major Stosch vorzubereiten. Das auf Bataillonsstärke zusammengeschrumpfte Regiment kam mit unerhörter Disziplin zurück, denn bei den Fronttruppen wurde 1918 keine Revolution gemacht. Das geschah nur in den Etappentruppenteilen. Soweit meine Kenntnis reicht, kann von einer Frontheerrevolution keine Rede sein. Als nun das Regiment 82 zurück kam, passierte etwas Groteskes. Der Soldatenrat hatte sich mit einer großen roten Fahne auf den Bahnhof gestellt, um das Regiment zu begrüßen. Da sagte ihnen der Major von Stosch kurz und bündig: "Wenn ihr nicht sofort verschwindet, dann knallt es". Die zogen sich also zurück und das Regiment zog unter klingendem Spiel mit der schwarz-weiß-roten Fahne in die Kaserne. An dem gleichen Tag hatte der Soldatenrat ein Maschinengewehr vor dem Rathaus aufgebaut, was die Soldaten aber nicht störte. Die zogen mit ihrer Musikkapelle munter weiter. An dem Tag war sowieso nur das 3. Bataillon angekommen. Die anderen kamen in der folgenden Nacht oder am folgenden Tag. Aber innerhalb von drei Tagen war deren Disziplin vollkommen aufgelöst. Jeder hatte nur noch das Interesse, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen.

(Popplow 1975, S. 863 – 864)

 

Tagebuch des Georg Schnath, 17. Dezember 1918

Göttingen hatte heute ein ganz militärisches Gesicht - und stand im Zeichen starker Truppenbewegungen. Nachdem schon vor einigen Tagen wieder eines der hier demobilmachenden Begimenter, I.R. 428, eingetroffen war, fand heute mittag gegen 2 Uhr der Einzug des s. Z. von hier ins Feld gerückten Res.I.R. 91 statt. Die Truppe kam im Fußmarsch aus Frankreich und rückte über die Maschmühle in die Stadt ein, die Offiziere beritten, die Mannschaften größtenteils ohne Waffen und Helm, aber in bester Stimmung und so reichlich mit bunten Fähnchen, Bändern und Tannenbäumchen geschmückt, daß die Durchfahrt der schier endlosen Gefechtsbagage zeitweise einem Korso glich. Auch ein paar große schwarz-weiß-rote Banner wurden in der Kolonne getragen. Die Aufnahme durch die trotz Regens zahlreich zusammenströmende Bevölkerung war sehr herzlich, Fahnenschmuck und Glockengeläut von allen Türmen der Stadt grüßte die heimkehrenden Krieger.