... vier Paar Trommelstöcke sowie eine Gardinenstange mitgenommen.“
Polizeiliche Beschlagnahmung „staatsfeindlichen Vermögens“ in Göttingen ab 1933

Postkarte „Hakenkreuz über Göttingen“, Fotomontage 1933. Foto: Städtisches Museum Göttingen
Postkarte „Hakenkreuz über Göttingen“, Fotomontage 1933. Foto: Städtisches Museum Göttingen

Ich möchte Ihnen im Folgenden einen Ausschnitt aus den Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten gegenüber Kommunisten und dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund in Göttingen ab dem Frühjahr 1933 vorstellen. Thematisiert man diese Zeit, redet man meist über Verhaftungen, Folterungen und Konzentrationslager. Ich möchte heute hingegen über Beschlagnahmungen sog. „Staatsfeindlichen Vermögens“ sprechen. Sie gehören genauso wie z.B. Berufsverbote gegen SPD- und KPD-Mitglieder zu den eher unerzählten Geschichten der Repression durch die NS-Diktatur.

 

Bevor ich dazu komme, zunächst einmal ein paar einleitende Worte zur Polizei in Göttingen, dem Beginn der NS-Diktatur und den beiden Organisationen, um die es heute geht:

Polizeidirektor Dr. Paul Warmbold 1926. Foto: Städtisches Museum Göttingen
Polizeidirektor Dr. Paul Warmbold 1926. Foto: Städtisches Museum Göttingen

 

Beide, die kommunistische Partei Deutschlands und der Internationale Jugendbund/ISK, wurden bereits seit Gründung der Weimarer Republik von der Polizei beobachtet. Bereits zur ersten öffentlichen Versammlung der KPD im Juni 1919 war ein Beamter anwesend, der das Gesagte mitschrieb. Listen über KPD-Angehörige wurden geführt, Treffen observiert und Druckschriften wie die „Rote Fahne“ immer wieder beschlagnahmt. Dasselbe galt mit Einschränkungen für den Internationalen Jugendbund oder Nelsonbund, aus dem ab 1926 der Internationale Sozialistische Kampfbund hervor ging. Beide Organisationen waren Verfechter des Kommunismus bzw. Sozialismus und gerieten so während der Weimarer Republik in den Focus polizeilicher Ermittlungen.

Ich springe in das Jahr 1932. Unter Polizeidirektor Dr. Paul Warmbold war die Göttinger Polizei grundsätzlich den Weimarer demokratischen Grundsätzen verpflichtet. Der Einfluss der Nationalsozialisten, die in der Stadt bereits die absolute Mehrheit der Wählerstimmen besaßen, war aber bereits deutlich spürbar. In der Verfolgung politischer Vergehen wurde 1932 in Göttingen nur ein Nationalsozialist, hingegen 14 Kommunisten dem Haftrichter vorgeführt. Ab dem Sommer 1932 war zudem das politische Betätigungsverbot der Polizisten für die NSDAP aufgehoben. Eine Kennerin der Materie, Frau Dr. Tollmien, schätzte dass im Januar 1933 bereits 30 % der Göttinger Polizeibeamten NSDAP-Mitglieder waren. (Ende des Jahres waren es 43%)

 

Kreisleiter Rudolf Mentzel 1937. Foto: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5432696
Kreisleiter Rudolf Mentzel 1937. Foto: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5432696

Nach der Machtübertragung am 30. Januar 1933 arbeitete die Polizei zunächst auf der gesetzlichen Grundlage der Weimarer Republik weiter.

 

Der Einfluss der neuen Machthaber manifestierte sich aber bereits direkt im Polizeialltag: die Polizei wurde mit Anfragen und Anregungen des NSDAP-Kreisleiters Rudolf Mentzel konfrontiert. Er verlangte von der Polizei z. B. weitere Eingriffe in das ohnehin bereits eingeschränkte Demonstrationsrecht. Seine Einflussnahme erstreckte sich bis in die Dienstpläne: anlässlich der Demonstration der sog. „Wehrverbände“ kurz vor der Reichstagswahl am 5. März 1933 schrieb Mentzel an Polizeidirektor Warmbold:

 

Göttinger Polizei in hist. Uniformen am 1. Mai 1933. Foto: Städtisches Museum Göttingen
Göttinger Polizei in hist. Uniformen am 1. Mai 1933. Foto: Städtisches Museum Göttingen

 „Bei dem hier in Göttingen vorgesehenen Zuge möchte ich auch diejenigen Polizeibeamten marschieren sehen, die sich unserer Bewegung als aktive Mitglieder angeschlossen haben.“ Vor allem aber betrieben die neuen Machthaber über die Kreisleitung der NSDAP die Strafverfolgung ihrer politischen Gegner. Seitens der Partei wurde die Polizei immer wieder zu Observierungen, Haussuchungen und Verhaftungen aufgefordert.

 

Zunächst, also während der ersten Februartage 1933 erlebte die Polizei den Beginn der NS-Diktatur als das Weiterführen von bereits bekannter Routine. Die eingeübte, vorrangig antikommunistische Verhaftungspolitik der Weimarer Republik wurde fortgesetzt. Ihre Form und ihr Umfang allerdings verschärfte sich drastisch. Die Zahl der Festnahmen stieg um 42% gegenüber 1932, dies lag am hohen Anteil der sog. „politischen und staatsfeindlichen Delikte“. Bei den Terrormaßnahmen gegenüber Mitgliedern linker Organisationen konnte die SA sicher sein, dass sie nicht polizeilich verfolgt wurde.

SS-Sturmbannführer Albert Gnade. Foto: Städtisches Museum Göttingen
SS-Sturmbannführer Albert Gnade. Foto: Städtisches Museum Göttingen

 Am 3. März wurde eine Hilfspolizeitruppe von 35 Mann gebildet, zu je einem Drittel aus SA, SS und Stahlhelm. Ende März wurde SS-Sturmbannführer Albert Gnade zum Göttinger Polizeidirektor befördert. Gnade war seit 1922 Parteigenosse, nahm 1923 am sog „Hitlerputsch“ teil, war Führer der SS-Standarte 51 und saß ab 1929 im Göttinger Bürgervorsteherkollegium (Rat).

 Stichwort Schutzhaft:

Die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar“, die sog. „Reichstagsbrandverordnung“ bedeutete die Außerkraftsetzung der Bürgerrechte. Die Schutzhaft allerdings war keine Erfindung der Nationalsozialisten. Sie war aber nun eine rein polizeiliche Maßnahme und sie ließ sich, im Gegensatz zur staatsanwaltlichen Klageerhebung, schnell und unkompliziert anwenden. Durch kaum rational nachzuvollziehende Gründe für Inhaftnahme und Entlassung entstand damit ein Klima massiver Verunsicherung. Nach der Entlassung aus der Schutzhaft mussten die Entlassenen sich weiterhin täglich bei der Polizei melden.

 

 Ort der Schutzhaft war das Polizeigefängnis im Nebentrakt des alten Stadthauses (der heutigen Stadtbibliothek). Die ursprünglichen Pläne von 1901 weisen dort nur zwei Zellen aus. Diese wurden spätestens Mitte der 1920er Jahre um vier weitere Zellen ergänzt. Wir wissen davon, weil dort Obdachlose untergebracht waren. Mit der Realisierung des Erweiterungsbaus fiel ab 1935 eine Zelle weg, sodass dann in 5 Zellen 23 Personen inhaftiert werden konnten. In den Zellen herrschten im Frühjahr 1933 schnell beengte Verhältnisse. Später wurden dort auch sog. Vorbeugehäftlinge inhaftiert, ab 1938 auch vor ihrem Abtransport in Konzentrationslager.

Aus einem Artikel über das KZ Dachau, Mündener Nachrichten, 25. März 1933. Foto: Bons/Boguslawski
Aus einem Artikel über das KZ Dachau, Mündener Nachrichten, 25. März 1933. Foto: Bons/Boguslawski

 Trotz des Ausweichens auf die Gerichtsgefängnisse (Waageplatz) reichte die Kapazität der preußischen Gefängnisse für die 25 000 Schutzhäftlinge nicht aus. Das war die Geburtsstunde der Konzentrationslager. Im März 33 wurde für die Region das Provinzialwerkhaus in Moringen vorgeschlagen. Anfang April trafen die ersten einhundert Häftlinge dort ein. Die Lager wurden nicht etwa versteckt. Die Informationen darüber bildeten einen Baustein des nationalsozialistischen Terrors.

 

Bis zum März 1934 wurden 125 politisch Verhaftungen in Göttingen aktenkundig. Dabei wird 38 mal keine Parteizugehörigkeit angegeben. 51 Kommunisten wurden zum Teil mehrfach verhaftet, von den Sozialdemokraten oder Angehörigen des Reichsbanners waren 14 betroffen. Nur ein Kurier des ISK erscheint unter den Verhafteten.

 

Durchschnittlich verbrachten die Kommunisten 40 Tage im Göttinger Polizeigefängnis, im Gerichtsgefängnis oder in einem KZ, die Sozialdemokraten 6,5 Tage. Die relativ kleine Gruppe der Kommunisten hatte also die Hauptlast der Verfolgung zu tragen. Die SPD blieb nach den Verhaftungen im Frühjahr ab dem Juni 1933 eher unbehelligt.
Nun komme ich zum eigentlichen Thema des heutigen Tages, der Beschlagnahmungspolitik.

Sammlungsverbot,  Göttinger Zeitung  vom 2.3.1933. Foto: Stadtarchiv Göttingen
Sammlungsverbot, Göttinger Zeitung vom 2.3.1933. Foto: Stadtarchiv Göttingen

 KPD-Ortsgruppe Göttingen

 

Wie bereits erwähnt, traf die Kommunistische Partei Deutschland die erste Verfolgungswelle. Die Verordnungen des Reichspräsidenten vom 4. und 28. Februar ermöglichten umfassende Verbote kommunistischer Versammlungen, Publikationen sowie der Sammlungen von Geld- und Sachspenden zu politischen Zwecken.

 

Dies bedeutete das Ende der legalen Arbeit der KPD. Die Repression gegen Kommunisten oder diejenigen, die dazu erklärt wurden, zielte auf deren Ausschaltung. Sie galten, anders als die Sozialdemokraten, den Nazis als nicht integrierbar in die Volksgemeinschaft. Die Resozialisierung von Kommunisten war nicht vorgesehen.

 

Kopf des Roten Stürmers, 17.2.1933.  Foto: StA Göttingen
Kopf des Roten Stürmers, 17.2.1933. Foto: StA Göttingen

 Die Kommunisten wehrten sich mit den hergebrachten Mitteln. Ein Generalstreik oder eine zentrale bewaffnete Reaktion war illusorisch, es ging um ein Weiterführen der inzwischen illegalen Agitation. Die Verordnung vom 4. Februar sah in § 7 vor: „Druckschriften, deren Inhalt geeignet ist, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu gefährden, können polizeilich beschlagnahmt und eingezogen werden“. Ab Mitte Februar überzog die Göttinger Kriminalpolizei Kommunisten mit einer Woge von Haussuchungen und Beschlagnahmungen. Gezielt mitgenommen wurden zunächst Flugschriften, Broschüren und Bücher.

 

Die Aktionen der Polizei galten ab März auch den weiter in der Stadt kursierenden Ausgaben des inzwischen illegalen Roten Stürmers, der Wochenschrift der KPD-Ortsgruppe. Für die Kommunisten gestaltete sich dies als Wettlauf mit der Polizei: Rotationsapparate und Material, das zur Herstellung von Druckschriften diente, musste an neue sichere Orte gebracht werden.

Geha AG an Ortspolizei Göttingen, 23.5.1933. Foto: StA Göttingen
Geha AG an Ortspolizei Göttingen, 23.5.1933. Foto: StA Göttingen

 

Am 28. Februar wurde die Schreibmaschine des Buchhändlers Paul Leicher beschlagnahmt. Kurz danach meldete sich die Europa Schreibmaschinen AG aus Erfurt bei der Göttinger Polizei: Ob die Maschine wohl an die Firma zurückgegeben werden könne, da noch ein Restbetrag der Teilzahlung ausstünde.

 

Der Inhaber der Göttinger Firma Büromaschinen Breitenbach sorgte sich Anfang Mai auch um den Verbleib einer, ebenfalls noch nicht abbezahlten Schreibmaschine. Er wies die Ortspolizei am 2. Mai 1933 darauf hin, dass die Olympia-Kleinschreibmaschine der Kommunistischen Partei in der Angerstraße in irgendwelchen Häusern, wo frühere Mitglieder der Kommunistischen Partei wohnen, untergebracht bezw. versteckt sein könnte. Er regte zudem eine Haussuchung an. Zum Schluss seines Schreibens betonte er ausdrücklich: Meinen Namen wollen Sie bitte bei der Haussuchung auf keinen Fall nennen. Natürlich wurde bei den Durchsuchungsaktionen auch immer Ausschau nach Matrizen gehalten. Neben den Schreibmaschinen galt die polizeiliche Suche aber vor allem der Vervielfältigungsmaschine der KPD-Ortsgruppe.

 

Mitte Mai 1933, nach einer Vielzahl von Haussuchungen, gelang es der Göttinger Polizei endlich, den Geha-Rotary-Vervielfältiger zu beschlagnahmen. Er gehörte der Unterbezirksleitung der KPD und wurde bei ihrem allzu unvorsichtigen Transport auf dem Fahrrad des Studenten Wilhelm Hoffmann sichergestellt. Auch hier fragte, diesmal die Geha AG, nach dem Verbleib des Rotary-Vervielfältigers. Die Raten wurden bis März von Paul Gmeiner bezahlt, dem KPD-Unterbezirksleiter, der inzwischen untergetaucht war. Ein ¾ Jahr später war das Gerät immer noch bei der Polizei eingelagert. (wurde später von der Kreisleitung angekauft)

Nachweis über die beschlagnahmte Bibliothek Paul Leichers. Foto: StA Göttingen
Nachweis über die beschlagnahmte Bibliothek Paul Leichers. Foto: StA Göttingen

 Am 27. Mai erging das Gesetz zur Einziehung kommunistischen Vermögens, 10 Tage später folgte die Durchführungsverordnung für Preußen. Vorgesehen war damit eine entschädigungslose Einziehung von Sachen und Rechten der Kommunistischen Partei Deutschlands sowie solcher Sachen und Rechte, die zur Förderung kommunistischer Bestrebungen gebraucht oder bestimmt sind. Daraufhin wurden Anfang Juni bei dem bereits erwähnten Buchhändler Leicher, der ebenfalls untergetaucht war, 890 Bücher beschlagnahmt.

Einige von Leichers Büchern wurden sofort als marxistische Literatur verbrannt. Der Führer des Nationalsozialistischen Studentenbundes sichtete den Rest und verbrannte weitere, als marxistisch eingestufte Exemplare. 188 unverdächtige Mappen oder Bücher wurden Leicher im November 1933 zurückgegeben. Die weitere Überprüfung der beschlagnahmten Bücher durch einen Bibliotheksrat der Universität zog sich bis zum Frühjahr 1935 hin. Hierbei gingen anscheinend auch wertvolle Bücher „verloren“, vor allem um Kunstbände und -mappen. Jemand eignete sich diese anscheinend an, was noch zu internen Untersuchungen bei der Polizei führen sollte. Im Juli 1936 wurden die als unverdächtig eingestuften Bücher an Leicher zurückgegeben. Noch einmal über ein Jahr später ging der verbliebene Teil an die Preußische Staatsbibliothek in Berlin.

Schalmeien-Kapelle der KPD -Ortsgruppe Göttingen, 3.v.r. Heinrich (Hennar) Friedrichs.  Foto: Sammlung Dr. Joachim Bons
Schalmeien-Kapelle der KPD -Ortsgruppe Göttingen, 3.v.r. Heinrich (Hennar) Friedrichs. Foto: Sammlung Dr. Joachim Bons

 

Ebenso dem Agitationsmaterial zugerechnet wurden die Instrumente der KPD-Schalmeienkapelle, die von den Musikern privat angeschafft worden waren. Beschlagnahmt wurde bis November 1933 der gesamte greifbare Bestand: 7 Schalmeien und 5 Marschtrommeln, erstere gingen an die Hitlerjugend, die Trommeln wurden zwischen SS und HJ aufgeteilt. Im Gegensatz zu diesem normalen polizeilichen Vorgehen kam es auch zu „wilden“ Durchsuchungen. Dafür ein Beispiel, das von der Göttinger Polizei untersucht wurde:

 

Minna Oberecken aus der Leinestraße, eine der kommunistischen Ecken in Göttingen, erstattete am 20. Juli 1933 Anzeige gegen den SA-Mann Fiege. Dieser hatte mit zwei anderen Personen ihre Wohnung durchsucht. Fiege nahm mit: eine Konzerttrommel, 4 Paar Trommelstöcke sowie eine Grammophonplatte mit den Titeln „Internationale“ und „Kampf gegen den Faschismus“. Zudem packte Fiege eine Gardinenstange ein, von der er annahm, dass daran wunderbar eine rote Fahne befestigt werden konnte . Von der Polizei vorgeladen, gab er an, diese Gegenstände mit ins sog. Braune Haus genommen zu haben, der Parteizentrale in Göttingen in der Jüdenstraße im Central-Hotel. Schließlich fanden sich die Gegenstände im Geschäftszimmer des Nachrichtendienstes der NSDAP.

 

Im Oktober wurde noch einmal Minna Obereckens Mann Nikolaus vorgeladen. Er gab an, die Trommel und zwei Stöcke 1931 gekauft zu haben: die Instrumente sind zu kommunistischen Zwecken nicht benutzt worden. Zum Schluss gab Oberecken an: Ich möchte noch bemerken, dass ich die Trommel meinem Patenkind bereits zu Weihnachten geschenkt habe. Auf der Trommel spielte dann ein anderer Junge: Kriminalassistent Lichtenberg erwarb sie für seinen Sohn, der sie im Spielzug des Jungvolks der Hitlerjugend benutzte. Der SA-Mann Fiege wurde lediglich verwarnt.

 

Aber auch anderes persönliches Eigentum von Göttinger Kommunisten war von den Beschlagnahmungsaktionen betroffen. Ein Anruf aus dem Regierungspräsidium in Hildesheim am 6. März ordnete die sofortige Sicherstellung aller Kraftwagen und Motorräder der KPD an.

 

Ein Motorrad wurde bei Adolf Reinecke im März sichergestellt, es wurde aber zurückgegeben, da es nicht fahrbereit war. Das Kleinkraftrad von Robert Liberty wurde im August sichergestellt und schließlich von der Polizeibehörde Göttingen für 60 RM angekauft. Das Motorrad Paul Leichers, im September 1933 sichergestellt, fand Ende des Monats bei der Staatspolizeistelle Hannover Verwendung.

Nachweis u.a. über die Einziehung von Fahrrädern, 27.9.1933.  Foto: StA Göttingen
Nachweis u.a. über die Einziehung von Fahrrädern, 27.9.1933. Foto: StA Göttingen

 

Hauptsächlich ging es aber um Fahrräder. Die Radfahrer, die sog rote Kavallerie, besaßen für Kurier-, Verteilungs- und Benachrichtigungsaktionen einen hohen Stellenwert in der KPD-Organisation. In einer koordinierten Aktion im Juli 1933 wurden in Preußen 115 Durchsuchungen vorgenommen. Dabei wurden 72 Fahrräder, 3 Motorräder und ein Einbaumotor beschlagnahmt. Die Göttinger Fahrräder, die bereits in einer Aktion am 17.6.1933 beschlagnahmt wurden, wurden meist von der SS weiter benutzt.

 

An Bankguthaben ist mir lediglich die Einziehung des Kontos der Roten Studentengruppe bekannt. Es belief sich auf nur 30 RM. Nach Waffen in kommunistischem Besitz wurde natürlich auch gesucht, meist fanden so Munition, alte Bajonette und kaum funktionstüchtige alte Pistolen ihren Weg zur Polizei. Allerdings wurden noch 1937 anlässlich eines Prozesses gegen Göttinger Kommunisten einige Gewehre sichergestellt, die in einem Kleingarten seit April 1933 gut verpackt vergraben lagen.

Bescheinigung für Gustav Weiss über eingezogenes kommunistisches Eigentum, 24.9.1945.  Foto: Stadtarchiv Göttingen
Bescheinigung für Gustav Weiss über eingezogenes kommunistisches Eigentum, 24.9.1945. Foto: Stadtarchiv Göttingen

 Die Maßnahmen wurden überaus gründlich durchgeführt und waren auch nicht 1933 beendet. Noch im April 1934 wurde bei dem Weltkriegsinvaliden Wilhelm Sölter das Fahrrad von Käthe Schiff beschlagnahmt. Die kommunistische Studentin war bereits im März 1933 nach Wien zurückgekehrt und hatte ihr Rad bei Sölter gelassen. Noch 1935 wurden an die Spielvereinigung Göttingen 21 rote Fußballsweater des Vereins Rot Sport verkauft, die Anfang Mai 1933 beschlagnahmt worden waren.

Ende des Jahres 1934 resümierte die Ortspolizei in Göttingen in einem Bericht an den Regierungspräsidenten die Beschlagnahmungen. Bei der Überprüfung der Geschäftsbücher und Schriften staatsfeindlicher Organisationen wurden Außenstände nicht festgestellt. Interessant dabei: Es wurde versucht, rückständige Mitgliederbeiträge einzutreiben. Dies scheiterte daran, dass die Mitgliederlisten der seit über einem Jahr verbotenen Organisationen glücklicherweise vernichtet werden konnten.

Ob die Bescheinigungen, die sich Gustav Weiss nach dem Krieg ausstellen ließ, zu einer Wiedergutmachung für die entzogenen Vermögenswerte führten, konnte ich nicht klären.

ISK-Jugend: Logo. StA Göttingen
ISK-Jugend: Logo. StA Göttingen

 Der Internationale Sozialistische Kampfbund

 

Kurz ein paar Worte zu dieser Organisation, die 1926 in Göttingen gegründet wurde. Der ISK war führerschaftlich organisiert und besaß in Göttingen kaum mehr als 30 Mitglieder, aber eine weit größere Zahl an Sympathisanten. Er vertrat einen ethischen Sozialismus incl. Kirchenaustritt, Vegetarismus, Gleichberechtigung von Mann und Frau und Alkohol- und Tabakabstinenz. Punktuell arbeitete der Kampfbund mit der KPD-Ortsgruppe zusammen, war aber eher auf Gewerkschaftsarbeit ausgerichtet.

 Der ISK blieb zunächst vor der umfangreichen Schutzhaftwelle verschont, das Vorgehen unterschied sich deutlich von dem gegen die Kommunisten. Am 14. März 33 allerdings hatten Polizei und SA die Walkemühle bei Melsungen besetzt. Ab 1923 war dies das Landerziehungsheim und Schulungszentrum des ISK. Im Juli 1933 wurde dort eine Gauleiterschule eingerichtet.

In Göttingern durchsuchte ein SA-Kommando einen Tag später, also am 15. März, die ISK- Geschäftsstelle im Nikolausberger Weg 67, die sog. Rote Burg. Eine Anzahl von Mitgliedern der Hitlerjugend unter dem HJ-Führer Rudolf Meyer nahm an dieser Aktion teil. Bereits am nächsten Tag bat der HJ-Sturmbann Göttingen um die Überlassung des Hauses, blieb damit aber erfolglos.

Am 10.Mai 1933 wurde der Göttinger SA-Standartenführer Peters als Kommissar der Ortspolizeibehörde für das ISK-Vermögen eingesetzt. Der Wert der ISK-eigenen Grundstücke wurde geschätzt, für die Geschäftsstelle wurden 1200 RM, für das Grundstück des Kindergartens auf der Gronerlandstraße wurden 624 RM veranschlagt. Die Mieter in beiden Häusern wurden angewiesen, die Miete nicht mehr an den ISK zu zahlen. Für beide Grundstücke wurde ein Sperrungsvermerk im Grundbuchamt erwirkt. Im Grundbuch eingetragen waren sie auf den Namen der Philosophisch-Politischen-Akademie e.V. Berlin, dem Trägerverein des ISK.

Der ISK beabsichtigte, die drohenden Einziehungen nicht widerstandslos hinzunehmen. Am Morgen des 19.5.1933 wurde der Schlosser Wilhelm Warncke aus Kassel beim Verlassen der Göttinger Geschäftsstelle des ISK in Schutzhaft genommen. Er hatte die Grundbuchakten der Walkemühle und einige Testamente bei sich. Diese sollte er für Minna Specht nach Hannover bringen. Sie waren nun in den Händen der Polizei Göttingen.

In Göttingen selbst versuchte Fritz Körber, der Verwalter der Geschäftsstelle, durch einen fingierten Ankauf der Grundstücke der Enteignung zuvorzukommen. Ein Kaufvertrag wurde von einem ISK-Notar in Marburg angefertigt, Körber selbst bezahlte die Grunderwerbssteuer von 1100 RM an die Stadt Göttingen, um den Übergang in Privatbesitz glaubhaft zu machen. Ein Jahr später versuchte er erfolglos, diese Summe wieder zurückzufordern, denn das Land Preußen definierte den Betrag als zur Förderung staatsfeindlicher Bestrebungen bestimmt.

Beide Aktionen, die Rettung der Geschäftsstelle und der Walkemühle, scheiterten am schnellen Vorgehen der neuen Machthaber. Ab dem 24. Mai 1933 hatte der ISK keinen Zugriff mehr, zwei Tage später erging das Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens.

Eigentümerin des Grundstücks Nikolausberger Weg 67 war ab Frühjahr 1934 die Konzentration A.G. in Berlin. Diese war eine seit 1925 bestehende sozialdemokratische Aktiengesellschaft und fasste die Wirtschaftsbetriebe der SPD zusammen. Inzwischen diente sie den Nationalsozialisten als Sammelinstitution für eingezogene Gesellschaften und Liegenschaften.

Einziehung des Vermögens des ISK und des Vereins Kinderheim. Foto: StA Göttingen
Einziehung des Vermögens des ISK und des Vereins Kinderheim. Foto: StA Göttingen

 Stühle, Tische und Rollschränke aus dem Inventar der Geschäftsstelle wurden für 120 RM 1935 an die Göttinger Nachrichten verkauft. Das Inventar des Kindergartens wurde unentgeltlich an den Göttinger Waisenbund abgegeben, das Haus an den Voreigentümer zurück verkauft.

Unmittelbar nach dem Krieg bezogen die ersten Göttinger ISK'ler wieder das Haus der Geschäftsstelle. Im Mai 1945 erwirkte der ISK'ler Heinrich Meyer bei der amerikanischen Militärverwaltung in Melsungen eine Treuhänderschaft für die Walkemühle. Die Wiederaufbauarbeiten der durch Hitlerjungen angezündeten und von amerikanischen Panzern beschossenen Gebäude begannen noch im Sommer 1945.

 

Leonard Nelson, ca. 1926. AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung
Leonard Nelson, ca. 1926. AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung

Nun möchte ich noch ein Beispiel für die penible Ausführung des Vernichtungswillens der Nazis geben. Bislang ging es um Privatbesitz und Immobilien. Dies waren allerdings nicht nur einfache Häuser, sondern auch politische Symbole. Jetzt soll es noch um ein Buch gehen.

 

Leonard Nelson, der leider bereits 1927 starb, war Philosophieprofessor in Göttingen. Er gründete 1918 den Internationalen Jugendbund, aus dem 1926 der ISK hervorging. In einem Bericht des Göttinger SA-Sturmführers Heißmeyer (1935 Chef des SS-Hauptamtes) von 1926 heißt es über Nelson: Das Wesentliche und damit zugleich das Gefährliche und Verbrecherische dieses Mannes ist, daß er sich nicht mit der Lehre allein begnügt, sondern sofort zur Tat geschritten ist, zur praktischen Verwirklichung seiner Gedanken.

Ausbildungskus des Internationalen Jugendbundes in Nelsons Arbeitszimmer, 1919. AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung
Ausbildungskus des Internationalen Jugendbundes in Nelsons Arbeitszimmer, 1919. AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung

System der philoso-phischen Rechtslehre und Politik
System der philoso-phischen Rechtslehre und Politik

 Bis Ende 1931 hatte der Verlag Öffentliches Leben als ISK-eigene Firma seinen Sitz in der Geschäftsstelle in Göttingen. Wie wir schon anhand der Bücherverbrennung sehen konnten, bargen die Kellerräume umfangreichen Lagerplatz für die ISK-Schriften. Im Juli 1935 wurde der Rest der Exemplare Leonard Nelsons Vorlesungen über die Grundlagen der Ethik. Dritter Band: System der philosophischen Rechtslehre und Politik von 1924 im ehemaligen Verlagskeller sichergestellt. Nelsons Buch wurde anscheinend noch zweieinhalb Jahre nach der Machtübertragung als gefährlich eingeschätzt.

Die 295 Bücher wurden nämlich im September 1935 vom preussischen Staat eingezogen. Regierungspräsident Muhs bestätigte, dass sie keinesfalls verkauft werden dürften. Im Oktober 1935 bat die Preußische Staatsbibliothek in Berlin um 30 Exemplare, diese sollten an die deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken verteilt werden. Zugleich wurde die Universitätsbibliothek Göttingen angefragt, ob Interesse bestünde.

 

Preuss.Staatsbibliothek an Ortspolizei Göttingen. StA Göttingen
Preuss.Staatsbibliothek an Ortspolizei Göttingen. StA Göttingen

Anfrage Einstampfung, 9.12.1935.  Foto: StA Göttingen
Anfrage Einstampfung, 9.12.1935. Foto: StA Göttingen

 Schließlich wurden im November 1935 insgesamt 40 Bände nach Berlin verschickt. Man bat im Begleitschreiben, überzählige Exemplare zu vernichten. Die Universitätsbibliothek hatte inzwischen abgewunken. Sie hätte ein Aufbewahrungsexemplar eingestellt und gegen die Einstampfung der restlichen Exemplare keine Bedenken.

So lagerten 255 eingezogene Exemplare bei der Kriminalpolizei in Göttingen. Diese fragte im Dezember 1935 bei verschiedenen Papierfabriken nach, ob Interesse an 7 bis 8 Zentnern neu gehefteter Bücher bestünde, die unter Aufsicht eingestampft werden müssten. Nelsons Bücher wurden schließlich am 4. Februar 1936 an die Papierfabrik Bauermeister & Henseling in Alfeld zum Einstampfen abgesandt.

Das Volksheim als Zentrum der Arbeiterkultur wurde im Mai 1933 "gleichgeschaltet". Anzeige aus dem Göttinger Tageblatt.
Das Volksheim als Zentrum der Arbeiterkultur wurde im Mai 1933 "gleichgeschaltet". Anzeige aus dem Göttinger Tageblatt.

 

Acht Monate später wurde die Ortspolizeibehörde in Göttingen durch ein Schreiben der Stapo-Stelle Hildesheim aufgeschreckt. Diese ersuchte um sofortige Übersendung eines Exemplars des betreffenden Buches. Die Göttinger Polizisten hatten Glück. Sie fanden noch ein Exemplar, das sie im April 1933 bei der Durchsuchung der Wohnung von Erna Siem, ISK-Mitglied, Lehrerin und Mitglied des ISK-Lehrer-Kampfbundes, beschlagnahmt hatten.

Soviel zum ISK

Ein paar Worte zum Abschluss:

Die Verfolgungswelle des Jahres 1933 traf beide Organisationen, aber auch ihre einzelnen Mitglieder. Die Göttinger Kommunisten wurden inhaftiert, verloren ihre Arbeit und, wie sie gesehen haben, auch einen Teil ihres Eigentums. Profitiert haben davon haben zunächst, sieht man von Einzelfällen ab, die neuen quasistaatlichen Organisationen der SA und SS. Dies war eine Art Vorläufer – rückblickend erscheint sie fast wie eine Probe der Arisierung jüdischen Eigentums. Die Konsequenz war die Zerschlagung der materiellen Basis der Arbeiterkultur, die in der Weimarer Republik so große Fortschritte gemacht hatte. Dabei ging es um teils hochwertige Liegenschaften, teils um Alltagsgegenstände wie Fahrräder, Bücher oder Musikinstrumente. In den Besitzständen deutscher Museen kann man diese Lücke heute noch gut erkennen.

 

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.